Zeit für einen persönlichen Rückblick

 

Willkommen in Deutschland – wem rufe ich das zu?

Um nur die Menschen zu nennen, über die ich nicht nur gelesen habe, sondern die ich aus eigener Erfahrung und Begegnung kenne:

Ich rufe es den jungen Männern aus Eritrea zu, die dem zeitlich unbegrenzten, ausbeuterischen und oft tödlichen Militärdienst des diktatorischen Regimes entfliehen; der jungen Nigerianerin, die ihrer erneuten Zwangsverheiratung mit einem weiteren alten Mann entkommen möchte, nachdem der erste verstorben war; dem homosexuellen Gambianer, dem nach dem Gesetz in seinem Land eine langjährige Gefängnisstrafe oder die Lynchjustiz droht; dem Syrer, dem mehrmals sein Haus in Damaskus durch Bomben zerstört wurde und der sich nun der Zwangsrekrutierung in die Armee des Schlächters Assad entzieht.

Heimfried Furrer verteilt Eintrittskarten für den Weihnachtszirkus in Offenburg. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

 

Ich rufe es dem jungen Georgier zu, der vor der politischen Verfolgung in seinem Land flüchtete und der keine Chance für ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben in seinem Land sieht; den mir bekannten Menschen, die aus Togo, Russland, Moldawien, der Ukraine, Ägypten und Somalia nach Deutschland gekommen sind, weil sie nur hier sich ein akzeptables Leben durch eigenes Streben erarbeiten können – landläufig „Wirtschaftsflüchtlinge“ genannt – ; dem Afghanen, auf den in seinem Land geschossen wurde, weil er beim deutschen Militär beschäftigt war; dem irakischen Turkmenen, der nach seiner Verwundung im ersten Golfkrieg der erneuten Verpflichtung zum Militärdienst entkommen wollte, zudem politische Verfolgung befürchten musste; der Irakerin, die als Folge des amerikanischen Embargos und des Bombardements von Bagdad ihr neugeborenes Kind verlor.

Sie alle und andere, deren Anstrengungen ich miterlebe oder erlebt habe, sich die deutsche Sprache und deutsche Sitten einzuverleiben, die bereits in Arbeit oder Ausbildung sind oder sich darum bemühen, die aufgeschlossen sind und bereit, mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturkreisen zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten, die aus vollem Herzen die Werte unseres Grundgesetzes bejahen, weil sie diese ja in ihrem Herkunftsland vermissten – ich kenne und schätze sie als Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Sie passen weit besser in unsere politische Landschaft, in unser freiheitlich-demokratisches Leben als all jene, die ihnen das Recht der Zugehörigkeit zu uns absprechen wollen. Jene intoleranten, chauvinistischen und überheblichen, teilweise rassistischen Menschen, die ihre eingebildeten Vorrechte auf die bloße zufällige deutsche Staatsbürgerschaft zurückführen. Historisch begründet und manchmal nur als Nachkommen von Generationen im Ausland lebender Migranten („Wirtschaftsflüchtlinge“?), genießen sie die Vorzüge des Lebens in unserem Wohlstandsland und wollen sie anderen versagen, die unsere Werte bereitwilliger bejahen als sie selbst. Sie haben ein uneingeschränktes Bleiberecht, ohne je etwas dafür leisten zu müssen, bloß weil sie, ohne eigenes Zutun, als Deutsche zählen. Sie nehmen dieses Recht in Anspruch, ohne die Pflichten zu übernehmen, die mit der deutschen Staatsbürgerschaft verbunden sind: die Werte des Grundgesetzes zu akzeptieren, das heißt vor allem die Grundrechte anderer zu respektieren, die Menschenrechte, und auch das Asylrecht.

Heimfried Furrer (rechts) beim Deutschunterricht mit Musik. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

 

Von den anderen, den Flüchtlingen und Armutsmigranten, werden viele unser Land wieder verlassen müssen. Das werden ihre Arbeitgeber bedauern und auch ihre Freunde, die sie in den teilweise schon über drei Jahren gewonnen haben, die sie auf die behördliche Entscheidung über ihr Schicksal warten. Auch ich werde ihnen nachtrauern, wenn es dann so weit ist.

Wen soll ich also willkommen heißen, ich, dessen Vorfahren als „Wirtschaftsflüchtlinge“ vor vielen Generationen aus der Schweiz nach Deutschland ausgewandert sind, dessen Vater und Großvater für ihren Widerstand gegen die intoleranten, chauvinistischen und rassistischen Nazis im Gefängnis und im KZ inhaftiert waren?

Ich glaube, jeder aufrichtige Mensch kann diese Frage leicht beantworten.

Heimfried Furrer